Wie in Salzburg gemeinschaftliches Wohnen gelingt – ein Besuch in der Glockmühle
Zwischen Mühlrad und Wahlfamilie
Salzburg. Irgendwo zwischen Altstadtkulisse, Bodenversiegelungswut und Wohnbaupreisspirale steht eine alte Mühle. Heute dreht sich hier nicht mehr das Wasserrad, sondern ein soziales Projekt: Mirjam mit ihrer Familie und drei weitere Parteien haben aus dem verwunschenen Gebäude ein gemeinschaftliches Wohnprojekt gemacht – mit Terrasse, Werkstatt, Kinderlachen und Streitkultur.
Ein Haus. Vier Wohnungen. Ein Ziel.
Die Glockmühle ist kein Architekturfetisch. Kein idealistisch überhöhtes Hippie-Kollektiv. Sondern ein pragmatischer Gegenentwurf zum Einfamilienhaus mit Nachbar:innen, die man nur vom Rasenmähen kennt. Vier Parteien haben hier ihren privaten Raum – und teilen das, was Sinn macht: Garten, Fuhrpark, Werkzeuge, Abendessen, Verantwortung.
Mirjam lebt mit ihrer Familie in einer dieser Wohnungen. „Es ist wie Familie. Nur halt die Wahlfamilie“, sagt sie. Und meint damit nicht nur die Kinderbetreuung im Krankheitsfall, das spontane Kaffeetrinken auf der Terrasse oder den Werkzeugverleih auf Zuruf. Sondern vor allem: ein Lebensmodell, das auf Vertrauen, Transparenz – und verdammt viel Kommunikation basiert.
Kompromiss ist hier kein Makel
„Natürlich ist das nicht immer einfach“, sagt Mirjam. „Wir haben uns schon oft gestritten.“ Etwa darüber, wo welcher Baum gepflanzt wird – oder wie der Umbau finanziell und arbeitstechnisch fair geregelt wird. Die Lösungen: ein notariell abgesicherter Worst-Case-Plan, Arbeitszeitabrechnungen bis ins Detail, Supervision, offene Gespräche. „Wir wollten das bewusst nicht nur aus dem Bauch raus machen. Sondern verbindlich, verlässlich, erwachsen.“
Klingt anstrengend? Ist es auch. Aber die Frage, die Mirjam stellt, trifft den Kern der eigentlichen Frage, wenn es um Wohnen und Zukunft geht: Was ist uns ein gutes Leben wert? Zeit? Geld? Nähe?
Salzburg, hörst du zu?
Was die Glockmühle zeigt: Gemeinschaftliches Wohnen ist nicht nur möglich – es ist attraktiv. Und es ist kein Zufall, dass Projekte wie dieses selten sind. Die Hürden sind hoch. Wer heute mit Freund:innen ein Haus kaufen und umbauen will, steht vor einem Finanzierungs-Monster, das nicht für mehrköpfige Eigentümergemeinschaften gebaut wurde. Die Mühlen der Kreditinstitute mahlen nicht für Wahlfamilien.
Mirjam wünscht sich, dass Grundstücke nicht nur an Höchstbieter:innen vergeben, sondern auch sozialen Konzepten zugänglich gemacht werden. Dass rechtliche Modelle für Gemeinschaftseigentum entwickelt werden. Und dass Förderungen nicht nur für klassische Familienstrukturen gedacht sind, sondern für neue Wohnformen, die längst Realität sind.
Ein anderes Wohnen ist machbar, Salzburg
Während im Speckgürtel weiter Einfamilienhäuser sprießen und die Innenstadt über Airbnb zerbröselt, zeigt die Glockmühle: Wohnpolitik muss sich nicht zwischen Betonromantik und Verzichtsideologie entscheiden. Sie kann neue Formen zulassen. Und damit Antworten liefern auf Fragen, die längst drängen: Wie wollen wir leben, wenn das klassische Familienmodell längst nicht mehr die Norm ist? Wer hilft mir, wenn ich krank bin? Wer bringt mein Kind in den Kindergarten? Und: Muss in jedem Haus wirklich eine eigene Bohrmaschine stehen?
Raum ist da. Wir müssen ihn nur teilen.
In der Glockmühle ist die Antwort leise, aber klar hörbar: Teilen ist kein Verlust. Sondern ein Gewinn an Leben. Vielleicht ist das die radikalste Idee, die Salzburg derzeit zu bieten hat.